Pennen in den Cevennen März 2019

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Ich habe mir vorgenommen jede Nacht im Zelt zu schlafen. Bis jetzt klappt es. Ist allerdings auch die erste Nacht. 

Aber jetzt mal von Anfang an. Wenn man, wie ich, freischaffend ist kann man nur Urlaub machen, wenn man keine Arbeit hat. In meinem Fall meistens der März, welcher ja  nicht ideal ist um Motorrad zu fahren. Es ist noch kalt und der Körper noch gar nicht trainiert. Wenn andere einen frühlingshaften Tagesausflug machen fahre ich ein, zwei Wochen Kurven bis zum Abwinken. Tennisarm und "Rücken" sind die Nebenwirkungen, immer mehr, je älter ich werde. 

Diesmal soll es durch die Cevennen gehen. Eine Woche muss heuer reichen und ich starte am 23. März. Beim Überholen der Kolonnen auf dem Fernpass, frage ich mich, warum ich ausgerechnet an einem Samstag losfahre, wenn man sich den Tag frei aussuchen kann. Das neue Handy braucht noch Zeit um sich an mich zu gewöhnen, aber bis zum Comer See schaffe ich es auch ohne Navi. Seit langer Zeit bin ich nicht mehr durch die Schweiz gefahren und freue mich, dass es so kurzweilig ist. Ganz im Gegensatz zur Gurkerei am Comer See entlang. 
Entweder Industriegebiet oder Ortschaft an Ortschaft. Ich hatte schon einen kleinen Hoffnungsschimmer eine schöne Alternative nach Mailand wiederentdeckt zu haben. Pustekuchen! Die ganze Zeit über bin ich zu warm angezogen, denn es hat bis zu 22°. Irgendwo kaufte ich Salami, Grana, Rotwein und fahre bei Como auf die Autobahn. 30 Km vor Asti suche ich mir ein Plätzchen zwischen den Äckern und baue mein Zelt auf. Als ich zu Abend esse sind 7° dann doch ziemlich frisch. 554 KM


Am nächsten Morgen scheint wieder die Sonne. Der Gaskocher zischt und Led Zeppelin rockt aus dem JBL als der Bauer mit seinem Hund vorbei schaut. Beide freuen sich, dass ich da bin. Schön.
Ich lasse es ruhig angehen und es ist schon halb 11 bis ich völlig durchgeschwitzt weiter ziehe. In der erst besten Ortschaft entsorge ich den Müll und gehe in eine Bar wegen eines Espressos und der Toilette. Siehe da, wer begrüßt mich Freude strahlend? Der Bauer, diesmal ohne Hund aber mit all seinen Amici. Er klärt die ganze Bar auf, dass ich auf seinem Feld geschlafen habe und lädt mich zu meinem Espresso ein, weil auch ich sein Freund bin und er Geburtstag hat. Na dann Buon Compleanno! Die Toilette war übrigens ein Steh/Hockklo und somit für mich nicht zu gebrauchen. Da bin ich eigen.
Mein neustes Navi App heißt Calimoto und führt mich anfangs auch wie versprochen schön kurvig Richtung Frankreich. Aber irgendwann geht es nur noch über einspurige Fahrwege. Als ich auf einmal auf einer unbefestigten Straße stehe, gebe ich das Ziel ins gute, alte Copilot ein, drehe um und fahre wunderschön geschwungenen nach Imperia. Ab San Remo nehme ich bis Ventimiglia doch lieber die Autostrada statt den Sonntagabendstau. Kurz vor der französischen Grenze biege ich rechts in die Berge ab, um der Cote d'Azur zu entgehen. Ein herrlicher Kurvenwahnsinn bis es dunkel wird. Nachdem mich der einzige Camping Platz in der Umgebung nicht reinlassen will, suche ich mir ein lauschigen Plätzchen am Fluss, 30 KM nördlich von Nizza. 13° sind immerhin 5 mehr wie gestern, als ich mir ein italienisches Lidl Menü brate: Salsiccia, Gurke, Tomate (die war allerdings aus einem kleinen Alimentari) und ein feiner Cannonau aus Sardinien. 
Das Leben ist so einfach und schön. Zumindest manchmal. 349 KM


Auch am dritten Tag komme ich nicht viel früher los. Was soll's, ich bin im Urlaub. Es gibt eh nicht viel zu erzählen, denn der kleine Quirin ist im Spieleparadies und will auf gar keinen Fall abgeholt werden. Anstatt den direkten Weg Richtung Cevennen zu nehmen, baue ich ein paar Schlenker ein, weil es gar so schön ist. Nein, es ist sogar perfekt. Zum krönenden Abschluss kurve ich auf der linken Seite die Verdon Schlucht entlang. Heute könnte es klappen, dass ich mein Zelt bei Tageslicht aufbaue. 
Die ewigen Rätsel der Menschheit sind Frauen und die Öffnungszeiten in Frankreich. 50 KM zuvor öffnen die Läden erst um 16 Uhr und schließen um 20 Uhr. Aber hier husche ich um 17:58 gerade noch in den einzigen geöffneten Campingplatz. Nicht nur der, sondern auch alle Läden im Ort, schließen um 18 Uhr. Nix ist mit grillen. Ich nehme aus der Bar ein paar Bier mit und esse meine Reste. Inzwischen windet es ungemütlich und es ist nachts wieder kalt. 313 KM


Erstaunlicher Weise habe ich trotz Sturms gut geschlafen. Hätte auch nicht gedacht, dass mein frisch gewaschenes Merino Unterhemd im kalten Wind über Nacht trocknet.
Es ist leider nicht mehr so warm, aber ich habe ja genug Klamotten dabei. Beim Studium der Karte stelle ich fest, dass ich die letzten Tage nicht so bummeln hätte sollen. Wenn ich in die Cevennen will, artet das jetzt in Stress aus und das will ich auf gar keinen Fall. Das bummeln der letzten Tage war nämlich wunderschön. 

Neuer Plan: rüber bis zur Ardeche, rauf Richtung Clermont-Ferrand und dann der Heimat entgegen an Lyon vorbei durch das Jura und die Vogesen. Gesagt getan bzw. ins Navi eingegeben. Um 11 geht es wieder auf die Bahn. Der Wind pfeift ordentlich über die Haut Provence. Zwischendrin nervt Calimoto wieder mit kleinsten zernarbten Sträßchen aber andererseits nimmt es Wege, die ich laut Karte nie genommen hätte. Mal schauen wo unsere Beziehung noch hin führt. 
Der Wind wird am Nachmittag immer heftiger und damit nimmt mit den Temperaturen in meinen Handschuhen auch der Fahrspaß ziemlich ab. Zusätzlich nervt heute mein Rücken extrem. Ibuprofen und Café heben die Laune nur temporär. Als ich ein windgeschütztes Plätzchen für mein Zelt finde ist es natürlich wieder dunkel. Kurze Zeit später brutzeln die Eier in der Pfanne, der französische Käse ist aufgeschnitten und (sorry) das belgische Bier, (wieder sorry) aus der Dose, ist kalt. Das wiederum, ist keine Meisterleistung. 299 KM


So konsequent muss man sein. Ich habe heute Morgen die letzte Flasche Heineken weg geschüttet. Sie hat es quasi eh nur als Notfallbier in meinen Koffer geschafft. Und nach dem Leffe Blond gestern war diese Entscheidung leicht gefallen. 

3° nachts stellen das Vorhaben jede Nacht im Zelt zu schlafen in Frage. Aber um ehrlich zu sein eher weil man beim Essen Handschuhe bräuchte. Im Zelt bzw. im Schlafsack passt alles. Geradezu kuschelig. 
Beim pullern morgens merkt man dann aber sofort wieder, dass es erst März ist. Ich mach mir meinen Café au Lait und programmiere mir meine Route ins Calimoto. 12 "Viapunkte" auf 200 Km sollten es abhalten über dubiose Straßen zu navigieren. Ich entdecke immer wieder neue Funktionen in diesem App. Erst freut man sich. Dann stellt man fest, dass es trotzdem nicht zuverlässig ist. Um genau zu sein ärgere ich mich, dafür soviel Geld ausgegeben zu haben. 
Trotz alledem ist die heutige Strecke aller erste Sahne, ausser dem kleinen Schlenker nach St. Etienne um eine neue Pumpe für die Therm-a-Rest Matte zu kaufen. 
Und dann finde ich heute sogar noch bei Tageslicht ein schönes Plätzchen für mein Zelt. Läuft. 317 KM


Ich habe es in der Nacht schon geahnt. Das dick gefrorene Wasser am nächsten Morgen verrät mir, dass die 3 Grad die mein Cockpit vor dem Schlafen gehen ausgespuckt hat, gelogen waren. 
Das Zelt ist das erste mal richtig nass vom Kondenswasser. Es dauert ewig bis es trocknet und zu allem Überfluss bilde ich mir ein, meine Griffheizung zu reparieren. 
Ich starte dann heute erst um 12. Ohne Griffheizung in einen weiteren sonnigen aber frischen Tag. Kurven jeglicher Radien durch ein Stück Frankreich, wo niemand sonst auf der Straße ist. Die Dörfer sind menschenleer und quasi alle Läden geschlossen. Und es sieht nicht danach aus, dass nur Mittagspause wäre. 

Auf der anderen Seite der Rhone wiederum steht auf jedem Hügel ein Städtchen mit einer stattlichen Kirche und zwischen drin immer wieder Schlösschen oder prächtige Gutshöfe. Wie im Film. Eigentlich eher wie im Märchen denn die Bäckerei hat offen. Und das, obwohl es nach 18 Uhr ist.

Wieder ist schnell eine Wiese gefunden und das Zelt aufgebaut. Heute bleibt die Küche kalt. Das Bier ist es sowieso. 
So wenige Kilometer wie heute bin ich selten gefahren. 266! Habe viel Zeit mit der Navigation verplempert. Und dann war ich noch ziemlich lange in einem McDonalds, denn da gibt es sehr anständige Toiletten und freies, wenn auch langsames WLAN. 2€ für den Café au Lait sind zwar kein Pappenstiel aber immerhin schmeckt er. Was man von den meisten Bars nicht behaupten kann. Die Franzosen können top Straßen bauen, tollen Wein machen (wobei mir der italienisch meistens lieber ist) und haben eine unendliche Käsevielfalt. Was sie nicht können ist Espresso und Bier. Zum Glück gibt es überall belgisches. 266 KM


Wieder ist das Zelt klatsch nass. Ich bin extra früher aufgestanden um heute mal Strecke zu machen und jetzt muss ich warten bis es trocken ist. Ich nutze die Zeit um wieder einmal Calimoto zu programmieren. Ist immer ein wenig zeitaufwendig die Straßen von der Karte im App zu finden und zu überprüfen ob es auch nicht wieder über Trampelpfade navigiert. Es hat aber auch wirklich gute Funktionen. Immerhin bin ich heute um 10:30 on the road. 

Es geht erst durchs Beaujolais Land und dann Burgund. Eine super schöne Strecke. Auch heute wieder an allen Ecken und Enden ein Chateau. 

Durch die Rhone Ebene fahre ich express mäßig über Autobahn und Schnellstraße. Als ich rauf ins Hohe Jura schwinge zickt Calimoto rum. Mitten auf einer Landstraßen Kreuzung stürzt es ab. Ich war nicht ganz unschuldig an dem Malheur aber egal. Danach ist die komplette geplante Route weg. Entnervt starte ich Copilot, gebe 4 Punkte ein und schwuppdiwupp schon geht es gewohnt weiter. Obwohl die letzten Updates alles verschlechtert haben, führt es mich so was von souverän bis an den Rand der Vogesen. Im Jura liegt noch einiges an Schnee. Ein toller, abwechslungsreicher Tag mit super Motorradstrecken. 

Da ich morgen früh los muss, habe ich beschlossen heute Nacht ins Hotel zu gehen. Aber wer hätte gedacht, dass es stressiger ist ein Hotel zu finden als einen Platz für das Zelt. Ziemlich spät und ausgefroren finde ich eins mit Pizzeria und portugiesischem Bier. Jetzt muss ich nur noch den komischen Geräuschen aus dem Antriebsstrang auf den Grund gehen. 460KM 


Für die Heimreise stehen heute 500 km auf dem Plan, es soll erst in die Vogesen, dann durch den Schwarzwald nach Hause gehen. Das heißt ich stehe um 7 Uhr auf, und checke mein Motorrad durch. Schnell ist das Knacken auch lokalisiert. Es ist nicht, wie ich angenommen habe die zu schlappe Kette, sondern das Radlager rechts. Ich spanne die Kette, frühstücke und starte mit einem unguten Gefühl Richtung Heimat. 
Kaum oben in den Vogesen angekommen, muss ich die Route ändern, da einige Straßen noch wegen des Winters gesperrt sind. 
Das knackende Geräusch ändert sich, von ab und zu, auf permanent. Ich beschließe in Mulhouse den ansässigen Triumph Händler aufzusuchen. 
Zu meiner Verwunderung wird nicht sofort ein kaputtes Radlager diagnostiziert, sondern erst das Hinterrad zweimal aus- und eingebaut. Dann, nach längerem hin, her, Verwunderung und Mechaniker-Meister-Konferenz, wird dann doch das Lager als Schuldiger ausgemacht. Eine Reparatur würde bis Ende nächster Woche dauern, da das Lager bestellt werden müsse. Allerdings nehmen der Meister und sein Mechaniker an, dass es bis nach Hause hält, da es ja kein Spiel aufweist. Ich soll aber vorsichtig fahren und sie wünschen mir eine gute Reise. Bonne Route. 
Insgesamt waren beide, an einem Samstag Mittag, sehr hilfsbereit, wahnsinnig nett und ich habe meinen Salär in die Bierkasse bezahlt. 

Lange Rede kurzer Weg, am Titisee hat das Lager nun Spiel. Sehr viel Spiel. Ich stehe mit Warnblinkanlage am Straßenrand und den Rest der Heimreise organisiert der ADAC. 


Resumee:
Angefangen vom Piemont, das ich bisher nicht so richtig kannte bis zum Ende eine gelungene Reise. Entgegen der Behauptung meiner Pyrenäen Reise sind die Seealpen sehr wohl eine Wucht, wenn man die großen Pässe auslässt, (sie waren eh gesperrt) und lieber die unzähligen Schluchten (Gorges) abfährt. 
Die Hoch-Provence ist im Sommer mit den riesigen Lavendelfeldern wahrscheinlich beeindruckender, aber ich mag ihn eh nicht. Zum Motorradfahren nicht das ganz große Kino, aber auch nicht langweilig. Dann das Gebiet der Ardeche. Schluchten, Berge und Kurven ohne Ende. Danach wird es hügelig je näher man dem Burgund kommt. Aber keinesfalls weniger kurvig. Einfach schön hier. Auch die Jura und die Vogesen müssen sich nicht verstecken. Feine Strecken, allerdings auch merklich mehr Verkehr. 

Um auf den Anfang zurück zu kommen, bis auf eine Nacht, habe ich immer im Zelt geschlafen und es war wunderschön.

Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern. Bisher war für mich eine Übernachtung im Zelt natürlich auf einem Campingplatz, wegen der Annehmlichkeiten wie Toiletten und Duschen. Vor 2 Jahren habe ich das erste Mal wild gecampt und Blut geleckt. Dieses Mal habe ich von 6 Nächten 4 mal wild gecampt und möchte es nicht mehr missen. Es ist eher so, dass die eine Nacht auf dem Campingplatz langweilig, geradezu spießig war. Die Suche nach einem geeigneten Platz hat niemals länger als eine Viertelstunde gedauert und die Bauern, die ich getroffen habe waren vollkommen entspannt. Selbstverständlich liegt man nicht mitten in der Wiese und nimmt seinen Müll wieder mit. Ein Lagerfeuer zu machen ist mir, erstens zu aufwändig und zweitens zu gefährlich, denn in Südfrankreich brannten schon wieder die ersten Wälder. Mein Gaskocher und eine kleine Pfanne haben aber genauso gute Dienste geleistet. 
Ich muss zugeben, dass die niedrigen Temperaturen natürlich von Vorteil sind wenn man nicht so oft duschen kann. 


Am Rande bemerkt:
Als ich am Titisee denkbar ungünstig am Straßenrand stand und auf den ADAC gewartet habe, hielt kein einziger Motorradfahrer an, um zu fragen, ob ich Probleme habe oder Hilfe benötige. Das wäre in Frankreich oder Spanien undenkbar. Ganz im Gegenteil man wird von Autofahrern auch noch dumm angehupt, wenn man an der ungünstigen Stelle rechts ran fährt, weil das Motorrad kaputt ist. Da rege ich mich schon gar nicht mehr über die entgegenkommenden deutschen Motorradfahrer am Titisee auf, die einen nicht mal vor einem mobilen Blitzer warnen. 
Somit wären wieder mal alle Vorurteile bestätigt.


Die geniale Daunenjacke.
Während meiner letztjährigen Reise nach Spanien und Korsika habe ich beschlossen mir anstatt der Fleece Jacke unter der Motorradjacke, eine dünne Daunenjacke zuzulegen. Ich muss sagen, eine geniale Idee. Sie lässt sich sehr klein zusammenknüllen ist wahnsinnig warm und bequem. Es sitzt sich abends einfach gemütlicher vor dem Zelt mit einer dünnen Daunenjacke als mit einer dicken Motorradjacke. Mit Merinounterhemd, Wollpulli, Daunenjacke und Motorradjacke übereinander kann ich bis zu Temperaturen um den Gefrierpunkt locker Motorrad fahren.